Wie ein Flugzeug mein Leben rettete

Teil 1

Die Überschrift klingt fast so reißerisch wie ein Artikel aus der Boulevardpresse, aber in meinem Fall stimmt die Überschrift und entspricht dem, was passiert ist. Die Story dahinter liegt eigentlich schon ein paar Jahre zurück... um genau zu sein stammt sie aus dem Jahr 2012.

Damals, im Jahr 2012 arbeitete ich noch als Fluggerätelektroniker bei Lufthansa in Köln. Ich war als Elektroniker für die Wartung elektronischer Systeme der Flugzeuge zuständig. Es war eine spannende, anstrengende und manchmal auch schwierige Zeit, da unter anderem der Schichtdienst und die ständig nötige Konzentration doch einiges abverlangten. Da die Luftfahrtbranche seit Jahren im ständigen Wandel ist, bleibt selten etwas "beim alten". So entschied sich Lufthansa seiner Zeit, die in die Jahre gekommenen Flugzeuge des Typs BAe 146 / AVRO RJ85 abzustoßen. Das ist ein normales Vorgehen, denn Ziel ist es, den Kunden in perfekt gewarteten, am liebsten nagelneuen Flugzeugen zu befördern. 

Leider war die BAe146 bzw der AVRO RJ85 nicht mehr das jüngste Modell und mit einem Alter von rund 18 Jahren zum damaligen Zeitpunkt vermutlich auch schon lange "abgeschrieben". Wie auch immer. Man entschied, die AVROs wieder abzugeben. Ein Teil ging zurück an den Hersteller BAe und ein Teil wurde anderweitig verkauft.

Warum BAe146 und/oder AVRO RJ85 ? Die ursprüngliche Version dieses Flugzeuges wurde unter der Bezeichnung BAe146 bzw HS146 in den 80er Jahren eingeführt. Durch diverse Modernisierungen entstand der Typ AVRO Regional Jet, der auf dem Typ BAe 146 basiert. Link zu Wikipedia

Meine erste Lizenz für ein Flugzeug war für die BAe146/AVRO. Diese Lizenz erlaubte es mir, an dem Flugzeugtyp zu arbeiten (eigentlich ist die Lizensierung ungleich komplexer, für hier reicht diese Info aber aus). Als nun die AVROs abgegeben werden sollten, musste von Lufthansa noch eine Reihe von Wartungsarbeiten an den Flugzeugen durchgeführt werden, damit die neuen Eigner die Flugzeuge auch jeweils annahmen. Auch ich wurde damals für diese Arbeiten eingeteilt und so arbeitete ich eines Tages an einem AVRO unter dem Cockpit im sogenannten Avionics Compartment. Dort befindet sich ein Grossteil der Bordelektronik gebündelt in Racks neben diversen Relais, schwarzen Boxen und Sicherungen.

Leider habe ich kein Foto aus dem Avionics Compartment welches ich hier zeigen könnte.

Der Zugang zu diesem Compartment geschieht durch eine enge Luke. Der Einstieg ist jedesmal recht sportlich, der Ausstieg noch eine Runde schwieriger. Ich befand mich damals in dem Avionics Compartment und musste "raus", da ich noch ein weiteres Werkzeug benötigte. Beim Ausstieg verletzte ich mich. Damit begann alles...

Die Schmerzen der ursprünglich eher kleinen Verletzung hielten über ein paar Tage an, was für diese Art der Verletzung meiner damaligen Meinung nach eher ungewöhnlich war. So begab ich mich am späten Abend in ein Krankenhaus, um den nunmehr deutlichen Schmerzen auf den Grund gehen zu lassen. Nun, was soll ich sagen... der Satz "ooh, da ist etwas, was da nicht hingehört..." hat mein Leben in diesem Fall schlagartig verändert. Auf dem Ultraschall war neben dem "normalen" Gewebe weiteres Gewebe mit (so sagte man mir) tumortypischer Färbung zu sehen. Die Konsistenz dieses Gewebes ist anders und somit auf einem Ultraschall in meinem Fall sehr gut sichtbar gewesen.

Schlussendlich muss der Tumor schon länger existiert haben und die Verletzung an dem Flugzeug eine glückliche Fügung, die mich auf den Tumor aufmerksam gemacht hat. Ich messe diesem Umstand keine übernatürliche Kraft oder spirituelle Sache zu, ich hatte in dem Moment einfach nur wahnsinniges Glück. So wurde der AVRO D-AVRB zu meinem Lebensretter...

Ich schreibe hier bewusst von "Leben gerettet", da schlussendlich die Diagnose Krebs bei mir ohne die Verletzung an dem AVRO erst viel später erkannt worden wäre und wer weiss, vielleicht wären meine Heilungschancen andere gewesen ?

Das Flugzeug, an dem ich arbeitete war der damals unter der Registrierung "D-AVRB" fliegende AVRO RJ85. Er bekam, wie alle anderen abzugebenden AVROs noch eine Reihe Modifikationen und Wartungsereignisse. Der Zustand des zu übergebenden Flugzeuges wurde vertraglich festgelegt. 

Foto mit freundlicher Genehmigung von Steve Albrecht

Der AVRO ging erstmal "zurück" zum Hersteller, British Aerospace (BAe). Im Internet kann man nachverfolgen, daß eine regionale, britische Airline den AVRO ein paar Jahre einsetzte, bevor er schliesslich nach Kanada an CONAIR ging. CONAIR betreibt Fire Fighting und setzt den AVRO derzeit (2018) als Feuerlöschflugzeug ein. Das zu lesen rührte mich sehr, hat der AVRO zuvor doch "mein Leben gerettet". Nun rettet er weiter Leben...

Foto mit freundlicher Genehmigung von Ian Howat (thanks Ian !)

Auf diesem Foto ist der Umbau zum Löschflugzeug deutlich erkennbar. In der mittleren Rumpfsektion wurden Tanks wie eine Art Schale um den Rumpf montiert. Somit verbleibt das Hauptgewicht durch die Löschflüssigkeit näher am CoG (Center of Gravity, Gravizentrum oder Schwerpunkt eines Körpers bezeichnet das Mittel aller Positionen, gewichtet nach der angreifenden Gravitationskraft im jeweiligen Punkt, Quelle : Wikipedia).

Foto mit freundlicher Genehmigung von Michael Eaton (thanks Michael !)

Hier sieht man die als C-GVFT registrierte Maschine im Hangar von CONAIR in Kanada. Das Foto entstand während der Umbauphase zum Löschflugzeug. Der grüne Bereich ist zu diesem Zeitpunkt nur mit Primer gestrichen, also nur zum lackieren vorbereitet worden. Deutlich sind auch die modifizierten Fahrwerksklappen zu sehen, da der Rumpf in dem Bereich durch den Umbau deutlich breiter geworden ist und die originalen Fahrwerksklappen schlichtweg nicht mehr passen würden. Ich bin gespannt, wenn ich im kommenden Frühjahr nach Kanada fliege und mir das Flugzeug live anschauen darf. Soviel sei schonmal verraten : Es wird länger dauern als geplant, bis ich endlich nach Kanada fliegen werde...

Ich möchte hiermit klarstellen, daß ich mich nicht an Mutmaßungen zum Thema Krebserkrankungen von Airlinemitarbeitern beteiligen möchte. Im Internet gibt es diverse Stellungnahmen verschiedener Parteien, bei denen das Thema "langfristige Erkrankungen" und "Folgeschäden" durch den Aufenthalt in Flugzeugen thematisiert wurde und wird. Dieser Artikel hier soll diese Thematiken weder untermauern noch nähren. Ich bitte, diese Themen einzeln und gesondert von diesem Artikel zu betrachten. Ich distanziere mich ausdrücklich von der Äusserung eines Vorwurfes oder gar Unterstellung, daß der bei mir seinerzeit diagnostizierte Krebs eine Folge meiner beruflichen Tätigkeit an Flugzeugen ist bzw sei. Dies möchte ich zu keinem Zeitpunkt mit diesem Artikel äussern.

Da dieser Artikel etwas länger wird, habe ich ihn in einzelne Teile gesplittet. Weiter gehts mit Teil 2